Fahnengeschichte
Fahnenchronologie des MTV v. 1862 Bad Gandersheim e.V.
Fahnen mussten sein; sie waren zum Zeitpunkt der Gründung unseres Vereins, wie häufig auch noch über 150 Jahre später, das äußere Erkennungszeichen einer Gemeinschaft, Verbindung oder Vereinigung.
Am 28. Juni 1863 konnte das 1. Stiftungsfest unseres Männer-Turn-Vereins feierlich begangen werden. Trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten wurden zwei Fahnen beschafft, denn ein Stiftungsfest ohne Fahne war für die Väter unseres Vereins einfach unvorstellbar.* Man gönnte sich einen eisernen Wimpel und eine mit Ölfarbe handbemalte Tuchfahne. Der eiserne Wimpel wurde bei jedem Turnen auf dem Schützenplatz aufgestellt.* Dieser eiserne Wimpel ist leider in den Tagen der zwei kurzfristig aufeinander folgenden Herbsthochwasser der Gande im Jahr 1998 bei der Verwüstung unserer damaligen Geschäftsstelle in der Hennebergstraße verloren gegangen. Die alte Tuchfahne von 1863 konnte neben wenigen anderen historischen Materialien und Belegen gerettet werden; vieles ist aber mit Schmutzwasserrändern geschädigt.
Die Vorderseite (Bild 1) zeigt einen weiß-rot, längs halbierten Untergrund mit dem goldenen gekrönten, altdeutschen G, gerade stehend (das schräg stehende G wurde erst mit Erstellung des Vereinswappens im Oktober 1930 in Anlehnung an das ganz alte Stadtwappen, siehe im Mittelbereich der hinteren Außenfassade unseres Rathauses), dem einfachen Wappen unserer Stadt.
Die Rückseite (Bild 2) ziert ein in Eichenlaub - Ornamentik gebettetes Turnerkreuz, die 4F, stehend für die Haupttugenden der Turner: frisch, fromm, froh, frei. – Anlässlich der anstehenden 125Jahr-Feier im Jahr 1987 beschloss bereits 1985 der Vorstand eine Restaurierung der Fahne bei einem Fachunternehmen, denn die Gewebefasern lösten sich auf und die Ölfarbe blätterte stellenweise ab. Fasern und Farbe wurden gefestigt und die gesamte Fahne mit Steppnähten bis dato erfolgreich mit transparenter Weichfolie geblistert. Nachweislich ist diese Fahne bei allen Deutschen Turnfesten nach dem II. Weltkrieg dank einiger MTV-Turnfestteilnehmer ununterbrochen dabei gewesen und sie ist stets präsent bei allen Jahreshauptversammlungen und Jubiläumsfeierlichkeiten. Verschiedene Stocknägel sind auf der Fahnenstange befestigt.
Weil die 1863 erworbene Vereinsfahne nach Ansicht des Turnrats gegenüber den neueren und schöneren Fahnen der benachbarten Turnvereine nicht repräsentativ genug aussah, der Kreisstadtverein aber nicht hinter den dörflichen Vereinen zurückstehen wollte, wurde 1884 die Stiftung einer Fahnenkasse beschlossen, um das 25jährige Jubiläum würdig mit einer neuen Fahne begehen zu können. Durch Sonderbeiträge und aus dem Reinerlös verschiedener Vergnügungen und Theateraufführungen wurde schließlich der erforderliche Betrag von 385,00 Mark aufgebracht. „
Die neue Vereinsfahne“, berichtet der Chronist, „von einem geborenen Gandersheimer, dem späteren Hofdekorationsmaler Adolf Quensen in Braunschweig, entworfen und in kunstgeschickter Weise von Fräulein Anna Sieburg in Gandersheimer Mauern gestickt, im übrigen aber von Sattlermeister Friedrich Zaps geliefert, zeigt uns auf der einen Seite (Bild 3) die Turnerfarben und darauf die Devise der Turner, das 4fache F, umgeben von dem Turnergruße „Gut Heil!“ und im Kranze der deutschen Eichen.
Die andere mit den Farben unseres engeren Vaterlandes (Anmerkung der Redaktion: blau-gelb für das Herzogtum Braunschweig) geschmückte Seite auf dem Grunde der Farben des ehemaligen kaiserlich - freiweltlichen Stifts Gandersheim (A.d.R.: schwarz–gelb), umkränzt von Lorbeerzweigen, das Wappen unserer Vaterstadt.“ (Bild 4) Beim 25jährigen Stiftungsfest am 14.08.1887, wurde die prachtvolle Fahne auf dem Wilhelmsplatz (A.d.R.: heute Stiftsfreiheit) von dem Rektor Dr. Brackebusch feierlich geweiht".
Allerdings ist die hier gestickte 4F–Darstellung sehr ungewöhnlich, denn sie zeigt nicht die übliche Spiegelung der vier Buchstaben zum Kreuz. Eine vergleichbare Darstellung wurde bei meinen Recherchen im Internet zum Symbol der Turner nicht gefunden.
Diese zweite Fahne trat in den Jahrzehnten nach dem II. Weltkrieg bisher nur bei den Vereinsjubiläen wieder in Erscheinung. Auf Grund ihres großen Eigengewichtes und der langen Fahnenstange wurde sie nur sehr ungern getragen, war aber beispielsweise im Festumzug 1987 zum 125jährigen Jubiläum dabei. Die außergewöhnlich lange, hölzerne Stange wurde 2012 nach 125 Jahren zum 150. Jubiläum durch unser damaliges Vorstandsmitglied Hermann Petersen fachgerecht gekürzt, damit sie in den Fahnenständern der „Neuzeit“ standhaften Halt finden konnte. Auch diese Fahnestange enthält eine Messingspitze und es sind ältere Stocknägel vorhanden. Wann die einstig geschlossene Fahnenspitze ausgebrochen ist, kann nicht mehr nachvollzogen werden.
Nun gibt es noch eine dritte Vereinsfahne, die eigentlich ein Schattendasein führt und nur äußerst selten aus dem „Lager“ geholt wird, sich aber 2012 zum Festakt der 150Jahr – Feier im Kaisersaal unserer Stadt wieder präsentiert hat. Es gibt und gab, auch nicht vor dem Hochwasser 1998, keine Aufzeichnungen, wann und warum diese verhältnismäßig kleine und sehr schlichte Fahne angeschafft wurde. Schwarz - gold in Öl gemalt steht ein gerades, gotisches G auf blauem Grund und wird oben und unten von dem Spruch „Jetzt des Hauses Freud und Hoffnung, Einst des Vaterlandes Schirm und Schutz“ flankiert. Die Rückseite zeigt auf „weißem“ Grund das Turnerkreuz im offenen Eichenlaubkranz. Keine Jahreszahl, kein Vereinsname (Bilder 5 + 6). Eine hölzerne, geschnitzte Hellebardenspitze und eine zweiteilige, blaugoldene Kordel zieren die Spitze der Fahnenstange. Bezug nehmend auf das gerade G und dem markigen, nationalbewussten Spruch könnte die Fahne aus den Kaiserreichen vor 1918 stammen.
Eine vierte Fahne aus den „Dreißiger Jahren“ des vorigen Jahrhunderts wurde wegen der Darstellung eines einschlägigen Nazisymbols unmittelbar nach Beendigung des II. Weltkrieges durch die Alliierten beschlagnahmt und vernichtet. Während der Nazizeit wurden ab dem Jahr 1936 traditionelle Vereinsfahnen in der Öffentlichkeit nicht mehr geduldet. Im Februar 1946 startete erneut das Vereinsleben und mit ihm die Bewahrung älterer Traditionen.
Das Vereinssymbol des heutigen Jugendwimpels (Bild 8), das schräg liegende G, umkranzt vom Schriftzug MTV v. 1862 Bad Gandersheim e.V., wurde anlässlich der 125Jahrfeier 1987 vom damaligen Vorsitzenden Hans-Peter Kliesch auf Zustimmung des Vorstandes in den Farbvarianten schwarz, rot oder/und weiß auf angepasstem, farblichen Untergrund eingeführt und findet seit dem Anwendung als Vereinsabzeichen (Bild 9) auf Briefköpfen, Stempeln und Vereinskleidungen.
Quelle:
Texte: Herbert Kielblock. H.- Peter Kliesch
Fotos: Joachim Müller